Jahrespressegespräch am 16. März 2015

Teilnehmer auf Seiten des Verwaltungsgerichts:

Präsidentin des Verwaltungsgerichts Claudia Beusch

Vizepräsident des Verwaltungsgerichts Markus Lehmler

Vorsitzender Richter am Verwaltungsgericht Dr. Frank Schafranek
(Pressedezernent)

Vorsitzende Richterin am Verwaltungsgericht Brunhilde Küppers-Aretz
(stellv. Pressedezernentin)


I. A l l g e m e i n e s

Geschäftsentwicklung in den letzten drei Jahren

Eingangszahlen

Die massiven Schwankungen im klassischen Bereich sind durch eine Vielzahl von Klagen im Landwirtschaftsrecht zu erklären (s. unten).

Im Asylbereich macht sich vor allem das Dublin-Verfahren (Verfahren zur Verteilung der Asylbewerber innerhalb der EU) bemerkbar.

 

Eingänge
K- und L Klassisch

Veränderung
gegenüber Vorjahr

Eingänge
K- und L Asyl

Veränderung
gegenüber Vorjahr

2012

3.311

 

397

 

2013

4.014

21,23 %

577

45,34 %

2014

2.425

-39,59 %

1.075

86,31 %

 

Anhangszahlen

 

Anhang
am Jahresende

Veränderung
gegenüber Vorjahr

2012

2.340

 

2013

2.535

8,33 %

2014

2.603

2,68 %

 

II. E i n z e l n e S c h w e r p u n k t e

Asylrecht

Allgemein hat sich insbesondere im letzten Jahr im Asylrecht ein neuer Schwerpunkt herausgebildet, nämlich die Überprüfung, ob dem Flüchtling die Rückschiebung in den europäischen Staat, über den der Asylbewerber aus seinem Heimatland nach Deutschland eingereist, zugemutet werden kann. Diese Konstellation erwächst aus den europäischen Abkommen Dublin II und III, wonach der Ausländer das Asylverfahren in dem europäischen Staat durchführen muss, in den er als ersten eingereist ist. Hier ist zu prüfen, ob die Regeln des Asylverfahrens rechtsstaatlichen Maßstäben entsprechen und ob die während des Verfahrens entstehende Aufenthaltssituation menschenwürdig ist.

Polizei- und Ordnungsrecht

Im Vorfeld des Verbots des Rockerclubs Satudarah hatte das Gericht über die Zulässigkeit von Beschlagnahme von Beweismitteln sowie Durchsuchungen zu entscheiden.

Anfang diesen Monats hat das Gericht dazu beigetragen, den Streit um den Hochwildpark Mechernich beizulegen. Über ein Jahr lang hatten sich Parkbetreiber und Tierhalter gestritten. Der Kreis Euskirchen widerrief schließlich die Erlaubnis aus dem Jahr 1989 zum gewerbsmäßigen Zurschaustellen von Tieren, weil die im Hochwildpark gehaltenen Tiere im Jahr 2011 an eine dritte Person übereignet worden sind und daher nicht mehr im Eigentum der Hochwildpark Rheinland GmbH stehen. Der GmbH fehle es an einer Erlaubnis zur Zurschaustellung von Tieren Dritter. Zudem wurde die Zurschaustellung von Tieren untersagt, die im Eigentum einer dritten Person stehen, und die Separierung dieser Tiere in der Form angeordnet, dass Besucher keinen Zugang zu diesen Tieren haben. Auf Betreiben des Gerichts einigten sich die Hochwildpark GmbH und der Halter der Tiere auf einen Verkauf der Tiere an die GmbH (6 K 1280/14, 6 K 1382/14).

Baurecht

Gegenstand der Verfahren sind größtenteils behördlich abgelehnte Bauwünsche mit unterschiedlichster Zielrichtung: Mehrfamilienhäuser, Supermärkte und gewerbliche Anlagen aller Art. Etwa ein Viertel aller Verfahren aus dem öffentlichen Baurecht sind Nachbarsachen. Grundstückseigentümer wehren sich vor Gericht gegen die behördliche Zulassung eines Bauvorhabens in der Nachbarschaft.

In Sachen Musikbunker hatte das Gericht dem Eilantrag einer Nachbarin stattgegeben und entschieden, dass dort keine Veranstaltungen mit bis zu 400 Personen und bis 5.00 Uhr morgens stattfinden dürfen (5 L 293/13). Es spreche einiges dafür, dass der durch die Baugenehmigung zugelassene diskothekenartige Betrieb zu laut und damit gegenüber der Nachbarin rücksichtslos sei. Es könne nicht festgestellt werden, dass die maßgeblichen Immissionsrichtwerte für die Nacht eingehalten würden. Auch ein vom Musikbunker e.V. vorgelegtes Gutachten beseitige die Zweifel der Kammer nicht. Denn die Annahme des Gutachters, dass die bis zu 400 Besucher großteils zu Fuß oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs seien und es deshalb nicht zu lautem Parksuchverkehr komme, sei nicht belegt. Vor allem Belästigungen bis in die frühen Morgenstunden durch lautstarke Unterhaltungen, Rufe etc. durch Besucher, die auf Einlass warten oder eine Veranstaltung verlassen, seien der Nachbarin nicht – auch nicht vorübergehend – zumutbar.

Im Beschwerdeverfahren hatte das OVG NRW den Betreibern des Musikbunkers recht gegeben. Wann eine Entscheidung in dem anhängigen Klageverfahren (5 K 1776/13) ergehen wird, ist derzeit nicht absehbar. Die Parteien sind um eine gütliche Einigung bemüht.

In Sachen Abrissbunker Rütscher Straße ist derzeit ein Eilverfahren anhängig. Das Landgericht Aachen hatte die Sprengungen aufgrund eines Antrags anderer Nachbarn vorerst untersagt; über das Rechtsmittel gegen diese Entscheidung ist bislang nicht entschieden.

In dem Verfahren um die Räumung des Protestcamps im Hambacher Forst steht ein Termin noch nicht an.

Kommunalabgabenrecht

Im Jahr 2014 war das Gericht insbesondere mit Verfahren der Grundsteuer B befasst. Im Jahr 2013 waren ca. 80 Verfahren von Bürgern der Stadt Nideggen eingegangen, die sich gegen die Erhöhung der Grundsteuer B (Hebesatz von 450 % auf 600 %) wandten, welche durch den vom Land NRW eingesetzten Beauftragten (sog. "Sparkommissar") als Maßnahme zur Sanierung des städtischen Haushalts beschlossen worden war. Die Kammer hat in vier "Musterverfahren" mit - rechtskräftig gewordenen - Urteilen vom 27. März 2014 die Klagen abgewiesen, im Wesentlichen mit der Begründung, dass die Bürger im Rahmen der Klage gegen den Steuerbescheid die Rechtmäßigkeit der bestandskräftigen kommunalrechtlichen Aufsichtsmaßnahme nicht mehr überprüfen lassen können und die Höhe der Steuer auch nicht "erdrosselnd" ist.

Landwirtschaftsrecht

Im Landwirtschaftsrecht war in den Jahren 2012 und 2013 eine regelrechte Klagewelle zu verzeichnen (2012: 697 Klageeingänge, 2013: 685 Klageeingänge), die in 2014 deutlich nachließ (2014: 15 Klageeingänge). Hintergrund der hohen Eingangszahlen ist Art. 7 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 73/2009, der eine Kürzung der Betriebsprämie für Landwirte im Wirtschaftsjahr 2011 um 9% vorsah, während die Vorgängerregelung (Art. 10 der Verordnung (EG) Nr. 1782/2003 für die Wirtschaftsjahre 2009 bis einschließlich 2012 nur eine Modulationskürzung von nur 5% zum Inhalt hatte. Die Frage der Vereinbarkeit der Regelung mit Europäischem Gemeinschaftsrecht - insbesondere dem Grundsatz des Vertrauensschutzes - hatte das VG Frankfurt (Oder) dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt. Die hier eingehenden Klageverfahren wurden ausgesetzt. Nachdem der Europäische Gerichtshof mit Urteil vom 14. März 2013 (Rechtssache C-545/11) entschieden, dass die Regelungen zur schrittweisen Erhöhung der Modulation der Direktzahlungen recht­mäßig sind, wurden die Klagen größtenteils zurückgenommen.

Kommunalrecht

Der Wasserspringerclub Städteregion Aachen klagte gegen die Stadt Aachen auf Zuweisung von Nutzungszeiten in einer städtischen Schwimmhalle, nachdem im Jahr 2013 bereits 3 Eilverfahren ‑ mit erfolglosem Versuch einer gütlichen Einigung - vorangegangen waren. Die 4. Kammer hat die Klage mit Urteil vom 20. Januar 2015 abgewiesen, weil die Zuweisung der gesamten Nutzungszeiten an einen anderen, den Landesleistungsstützpunkt tragenden Verein, den SV Neptun Aachen, nicht zu beanstanden war.

Schließlich sind 3 Klagen gegen die Kommunalwahlen im Jahr 2014 eingegangen - gegen die Wahl des Rates der Stadt Alsdorf, die Wahl des Städteregionsrates der Städteregion Aachen und die Wahl des Kreistags des Kreises Düren. Die Klage gegen die Ratswahl der Stadt Alsdorf hat die Kammer mit Urteil vom 19. Februar 2015 abgewiesen. Sie konnte nicht feststellen, dass der Bürgermeister die Wahl durch Verschweigen der Verpflichtung der Stadt Alsdorf zu einer Gewerbesteuererstattung von 17,7 Mio. Euro unzulässig beeinflusst hat. Die beiden anderen Klagen stehen in den nächsten Monaten zur Entscheidung an.

Öffentliches Dienstrecht

Das Beamtenrecht, das Richterrecht und das Soldatenrecht sind sozusagen das Arbeitsrecht des öffentlichen Dienstes. Im vergangenen Jahr gab es zahlreiche Verfahren, die ein mediales Interesse hervorriefen:

  • Die Klage eines Lehrers, der sich mit seiner 16jährigen Schülerin über das Internet sexuell anzüglich ausgetauscht hatte und deshalb entlassen worden war, wurde abgewiesen.
  • Im Streit zwischen einem Schulamtsdirektor aus der Region und der Bezirksregierung Köln um eine Abordnung gab das Gericht dem Beamten im Eilverfahren Recht.
  • Das Verfahren der Eltern von Jenny Böken wurde in den Medien und in der Öffentlichkeit mit großem Interesse verfolgt und war für die Kammer ein aufwändiges Verfahren mit dem Ortstermin auf der Gorch Fock im Sommer und dem Urteil im Oktober. Die Entschädigungsklage der Eltern wurde abgewiesen, das Oberverwaltungsgericht in Münster befasst sich derzeit mit der Sache in der 2. Instanz.
  • Im November 2014 hat die Kammer der Klage eines Bundeswehrarztes stattgegeben, der nach einem Einsatz in Afghanistan die Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer begehrte.
  • Ebenfalls im November wurde in einem Eilbeschluss die Entlassung eines Aachener Polizeianwärters für rechtmäßig erklärt, dem latent rassistisches Verhalten vorgeworden worden war. Am 2. April 2015 wird die Kammer die Klage des Polizeianwärters verhandeln.

Sozialrecht

Erfasst ist u.a. das Kinder- und Jugendhilferecht. Hier ging es bei der Kindertagespflege Euskirchen in ca. 20 Verfahren um die Frage der angemessenen Geldleistung an die Tagespflegepersonen, die von den Kommunen gezahlt werden, die wiederum die Eltern zu Beiträgen heranziehen. Die Stadt Euskirchen hatte einen Tarif entwickelt, nach dem pro betreutem Kind eine Geldleistung in Abhängigkeit zur Dauer der Betreuung des Kindes durch die Tagespflegeperson in der Woche gezahlt wurde. Allerdings wurde die Betreuungszeit, die gegenüber den Eltern mit einer konkreten Stundenzahl festgelegt wird, nicht spitz abgerechnet, sondern nach Fixbeträgen für Zeitkorridore im Umfang von 10 Stunden (Fixbetrag für ein Betreuungszeit von 15 - 25 h wöchentlich, von 25 - 35h wöchentlich, von 35h -25h wöchentlich). Die Kammer sah diesen Tarif als rechtswidrig da nicht leistungsgerecht an (2 K 2120/13, 2 K 2131/13).

Einige Klageverfahren beruhen darauf, dass die Eltern die Beschulung ihres seelisch behinderten Kindes im Regelschulsystem (Inklusion) wünschen, die Mittel der Schule aber nicht den Unterstützungsbedarf des konkreten Kindes decken. Hier stellt sich die Frage, ob die Jugendhilfe die Kosten für einen Schulbegleiter übernehmen muss. Auch Privatschulkosten sind mitunter Klagegegenstand: Die Eltern wünschen die Beschulung ihrer (oft verhaltensauffälligen) Kinder auf einer Privatschule wegen der deutlich kleineren Klassen. Muss die Jugendhilfe die Privatschulkosten übernehmen? In der Stadt Aachen ergibt sich die besondere Konstellation, dass für die Amos-Comenius-Schule als anerkannte Ersatzschule kein Schulgeld zu zahlen ist, sich die Eltern allerdings zur Leistung 'freiwilliger' Elternhilfebeiträge verpflichten. Nachhaltig vertritt die Stadt Aachen die Auffassung, dass freiwillige Leistungen nicht von der Kinder- und Jugendhilfe übernommen werden können. Zudem stellt sich in jedem Fall die Frage, ob der Besuch dieser Schule notwendig ist, um dem Jugendlichen einen angemessenen Schulbesuch als wesentlichen Faktor der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu ermöglichen. Bei der 2. Kammer sind allein ca. 25 Verfahren wegen Besuchs der Amos-Comenius-Schule anhängig, die dieses Jahr abgearbeitet werden sollen.

Rundfunkgebührenrecht

Zum 1. Januar 2013 ist eine einschneidende Veränderung bei den Rundfunkgebühren in Kraft getreten. Die bisherige geräte- und teilnehmerbezogene Rundfunkgebühr ist vom Rundfunkbeitrag abgelöst worden, der pro Haushalt/Betriebsstätte zu leisten ist, auch unabhängig davon, ob Empfangsgeräte vorhanden sind oder nicht. Dies hat sich auch bei den Eingangszahlen und den Schwerpunkten bemerkbar gemacht. Im Jahre 2013 waren 19 Klageverfahren eingegangen, wohingegen es 2014 bereits 49 Verfahren waren. In der Vergangenheit bis 2013 ging es im Schwerpunkt um die Befreiung von der Rundfunkgebühr sowie über den Zeitpunkt der Abmeldung eines Rundfunkempfangsgerätes. Seit 2014 wird dagegen in einer Reihe von Klagen (ca. 1/3 bis 1/2) nunmehr mit verfassungsrechtlichen Argumenten die Rechtmäßigkeit der Erhebung eines Rundfunkbeitrages, der Unabhängig von der tatsächlichen Nutzung eines Rundfunkempfangsgerätes ist, angezweifelt. Das OVG NRW hat in der vergangenen Woche entschieden, dass die Rundfunkgebühr verfassungsgemäß ist.

Schulrecht

Nach dem nordrhein-westfälischen Schulgesetz ist die Schulpflicht durch den Besuch einer deutschen Schule zu erfüllen. Eine Ausnahme davon ist bei einem wichtigen Grund möglich. Die 9. Kammer hat mit Urteilen vom 4. April 2014 und 30. Mai 2014 entschieden, dass für den Besuch von Schulen - Primar- und Sekundarstufe - in Belgien im grenznahen Gebiet der Deutschsprachigen Gemeinschaft Ausnahmegenehmigungen zu erteilen seien. In den Schulen sei Deutsch Unterrichtssprache. Von Bedeutung sei auch die „Gemeinsame Erklärung zur gegenseitigen Anerkennung von schulischen Bildungsabschlüssen und Berechtigungen zwischen der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens und dem Land Nordrhein-Westfalen vom 1. Dezember 2009“. Darin werde das außerordentliche Interesse beider Seiten betont, in einem zusammenwachsenden Europa die Mobilität von Schülern und deren Familien durch eine Vereinfachung der Anerkennung schulischer Bildungsabschlüsse und eine Erleichterung des Wechsels zwischen den unterschiedlichen Schulsystemen zu fördern. Schließlich entspreche das Abschlusszeugnis der Oberstufe des Sekundarunterrichts in der Deutschsprachigen Gemeinschaft dem deutschen Abitur.

Varia

Im Bereich der unverteilten Materie fanden sich wieder einige "Kuriositäten": Etwa eine Klage gerichtet auf die Aufhebung des Vertrags vom 31. August 1990 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands oder ein Eilantrag auf Änderung des Namens der Stadt Geilenkirchen wegen moralischer Anstößigkeit.

 

Claudia Beusch
Präsidentin des Verwaltungsgerichts

 

Dr. Frank Schafranek
Vorsitzender Richter am Verwaltungsgericht
und Pressedezernent